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Positionsbestimmungen

Karen Straub

 

Hütten, Scheunen, Schuppen zählen neben abstrakten Farbgebilden zu den Motiven, denen sich Olaf Quantius in seinen Arbeiten vorwiegend widmet. Es sind gemeinhin wenig beachtete Bauten und gleichermaßen Randerscheinungen, die mittels der künstlerischen Umsetzung zu neuer Betrachtung und Aufmerksamkeit gelangen. Die Arbeiten von Quantius entstehen nicht als Solitäre, sondern als Bestandteil von Werkgruppen. In diesen meist suggestiv betitelten Reihen konzentriert sich der Künstler nicht auf minimale Variationen einer einmal gefunden Bildlösung. Die gewählten Sujets bieten ihm vielmehr Anlass für eine stets aufs Neue erfolgende Auseinandersetzung mit übergeordneten Fragestellungen und Betrachtungen zum Wesen der Dinge, des Seins sowie der Malerei selbst.

Ausgangspunkt der Bildserien sind die sogenannten Fetzen, die seit 1999 entstehen. Diese gehen ursprünglich auf eine übergroße Darstellung eines Schmetterlings zurück, die Quantius zu Studienzeiten an der Kunstakademie anfertigte. Aus der Musterung der Flügel isolierte er in einem nächsten Schritt einzelne Farbflecken, die im Vergleich zum ursprünglichen Objekt überdimensioniert wiedergegeben wurden. Die gesonderten Farbflecken, die Fetzen, malte er auf Baumwollgrund, der nicht als Leinwand auf einen Keilrahmen gespannt, sondern als loses Stoffstück belassen wurde (Abb. 1). Derart ergeben sich an den Kanten der Farbflächen Raffungen und Fältelungen, die zu Spannungen im Textil und zugleich in der Gesamtwirkung der Darstellungen führen. Der Bildgrund tritt somit partiell aus der reinen Zweidimensionalität hervor, erhält Volumen. Er verstärkt den Eindruck der im Raum schwebenden Fetzen, die in ihrer unruhigen Silhouette mit gewellten Rändern an vegetabile Formen oder ausgerissene Papierfetzen denken lassen. Die Flecken selbst sind nicht als einheitliche Farbflächen angelegt, vielmehr erhalten sie durch Schattierungen eine malerisch erzeugte Plastizität. Neben den farbig modellierten Gebilden entstehen seit 2003 auch strenger konzipierte Fetzen. Achsensymmetrisch angelegt, zeigen sich diese im Kontrast von hellen und dunklen Tönen. In ihrem Umriss und durch die Zweiteilung in spiegelbildlicher Anordnung mit scharfkantiger vertikaler Trennung wecken sie Assoziationen an Schmetterlinge mit ausgebreiteten Flügeln und knüpfen offenbar an das ursprüngliche Modell an.

Die auf den ungespannten Baumwollstoff aufgetragenen Fetzen erscheinen als schwebende Farbgebilde in einem unbestimmten Raum, und doch erinnert ihre Gestalt zugleich an Formen aus Fauna und Flora. So zeigen sich die Farbflecken an der Schnittstelle zwischen abstrakter und erahnbar figurativer Darstellung. Sie markieren einen Wandlungsprozess eines zunächst konkreten Objekts, das in der künstlerischen Auseinandersetzung eine Abstrahierung und zunehmende Entfernung von dem anfänglichen Modell erfährt. Bereits den ab den späten neunziger Jahren entstehenden Fetzen ist somit die Reflexion über den Malakt selbst immanent. Der illusionistische Charakter der gegenständlichen Malerei sowie ein Oszillieren zwischen Abstraktion und Figuration bilden grundlegende Aspekte im Schaffen von Quantius, die ihn auch in weiteren Bildserien beschäftigen.

Entsprechend zu den Fetzen, die der Künstler als Reihe kontinuierlich weiterführt und die als Bildelemente auch in anderen Arbeiten erscheinen, zeigt sich auch die im Jahr 2000 begonnene Serie der Danaiden in einer stetigen Fortentwicklung. Nach der griechischen Mythologie hatte der libysche Herrscher Danaos 50 Töchter von verschiedenen Frauen, die Danaiden.[1] Diese sollten auf Drängen seines Zwillingsbruders Aigyptos, König von Ägypten, mit dessen 50 Söhnen vermählt werden. Zu Recht unterstellte Danaos seinem Bruder, ihn töten zu wollen, um das gesamte väterliche Erbe an sich zu reißen. Trotz Fluchtversuchen kam es schließlich doch zur Vermählung der Danaiden mit ihren Vettern. Jedoch hatte Danaos seinen Töchtern heimlich Dolche überreicht, womit sie in der Hochzeitsnacht ihre Gatten ermordeten. Entgingen sie zunächst einer irdischen Strafe, mussten sie sich in der Unterwelt mit der sprichwörtlich gewordenen immerwährenden Aufgabe abmühen, unablässig Wasser in ein Gefäß ohne Boden bzw. ein durchlöchertes Behältnis zu schöpfen. Die gleichnamige Werkgruppe, die in der Ausstellung beispielhaft mit den drei Arbeiten Danaide 16 (bleck), 2001 (S. 56/57), Danaide 22 (stryofoam), 2007 (S. 66/67) und Danaide 23 (queensize), 2008 (S. 60/61) vertreten ist, stellt zweifellos keine bloße Illustration der mythologischen Ereignisse dar. In nahezu jedemBild der Werkgruppe finden sich zwei halbovale Farbgebilde an den Seitenrändern in horizontaler Ausrichtung. Wie zwei Pole, farblich kontrastierend in je hellem und dunklem Farbton gehalten, scheinen sie im Bildraum zu schweben und zugleich doch statisch verharrend, sich wabernd aufeinander zu zu bewegen ohne dabei weiter in den Bildraum vorzudringen. In den Zwischenbereich treten aufgrund ihrer vertikalen Orientierung dynamisierende Farbflecken und -bänder bis hin zu regelrechten Farbakkumulationen oder auch durch Dripping erzeugte Kleckse, die an aufspritzendes Wasser denken lassen.

Der klassische Mythos wird somit zum Bild für ein unermüdliches Wiederholen, sich immer von neuem einer Aufgabe Stellen sowie der Selbstvergewisserung auch in Bezug auf den reinen künstlerisch-malerischen Akt in der Auseinandersetzung mit Farbe, Form und Bildraum. Dies kommt ebenso in dem queroblongen Format der Gemälde zum Tragen. So erscheint die ausgeprägte horizontale Ausdehnung als Ausdruck des sich in die Länge ziehenden, nicht endenden Vorgangs. Zudem zeigen sich die Bildelemente häufig durch die Ränder angeschnitten, weisen somit über den eigentlichen Darstellungsraum hinaus und lassen sich über die Grenzen der Leinwand hinaus fortgesetzt weiterdenken. Das unermüdliche, stets neue Schaffen findet nicht zuletzt darin seine Entsprechung, dass die Serie bislang nicht abgeschlossen wurde, sondern weiterverfolgt wird und insofern endlos anmutet: »Die Kunst von heute scheint generell für sich die Unendlichkeit neu entdeckt zu haben. Es handelt sich dabei allerdings keineswegs um die Wiederauflage der romantischen Ästhetik des Erhabenen – um die Vision einer Unendlichkeit, die im starken Kontrast zur menschlichen Existenz steht […] Es handelt sich um die Unendlichkeit einer ständigen Fortsetzung des immer Gleichen in kleinen Variationen, um ein Weitermachen wie bisher, um eine Weiterschreibung […] Es handelt sich um die Unendlichkeit eines Projekts des Immer-Weiter Lebens, das niemals vollendet, sondern nur verlassen werden kann.[2]«Die Danaiden reflektieren das Moment der Unentrinnbarkeit, aber auch der Optionen und Polarität, das Quantius in dem antiken Mythos gegeben sieht. So scheint theoretisch die Möglichkeit erwogen, dass die Danaiden sich der Anweisung ihres Vaters hätten widersetzen können, wie es zumindest eine der Töchter auch tat.[3] Das Befolgen der väterlichen Anordnung führt die Danaiden zu zwei Extremen menschlichen Handelns: die einmalige, irreversible Tat und der ewig sich wiederholende Vorgang. Dementsprechend deuten die horizontal und vertikal ausgerichteten Bildelemente, die Kontrastierung von Hell und Dunkel, die flächig aufgetragenen Farbgebilde neben Farbspritzern sowie ruhig wirkende Partien gegen beweglich, dynamisch erscheinende Bereiche auf die Entscheidungsmöglichkeiten während des künstlerischen Arbeitsvorgangs, der Festlegung im einzelnen Bildwerk und des Schaffens im Seriellen.

Die Optionalität, der Dualismus eines Entweder- Oder, der Zwischenraum zwischen zwei Alternativen sowie das Gedankenspiel, dass – wenn auch bereits eine bestimmte Richtung eingeschlagen wurde – doch stets auch alles anders sein könnte, mit diesen Fragestellungen beschäftigt sich Quantius auch über den rein malerischen Vorgang hinaus. In Les Chaperons, einem Bildzyklus von 2007–09, richtet Quantius den Fokus auf schicksalhaft zu Paaren vereinte Personen. Äußere Umstände führten sie zusammen, denen jeweils eine Entscheidung oder Tat vorausging, die ihren weiteren Weg bestimmen sollte. Vielfältig sind die Anregungen, die in die Werkserie mit einflossen. So bezeichnet das titelgebende französische Wort »le chaperon« die Anstandsdame, also eine als notwendig erachtete, wohl aber eher unerwünschte Begleitung, die wie eine Art Schatten gegenwärtig ist. Seit 2007 findet der Begriff auch im Bereich des Radsports Verwendung. Als Konsequenz der Dopingskandale führte der Bund Deutscher Radfahrer das sogenannte Chaperon-System ein, wonach die Fahrer ab dem Zieleinlauf bis zur Dopingkontrolle unter ständige Begleitung und Aufsicht gestellt werden.[4]

Bei seiner Beschäftigung mit der Vorstellung, wonach der Mensch auf unabwendbare Weise einen Gefährten erhält sowie in der Umkehrung das Streben nach einem Pendant zum eigenen Ich, erhielt der Künstler zudem Anstöße durch philosophische Schriften. Zu diesen zählt Peter Sloterdijks »Der Urbegleiter. Requiem für ein verworfenes Organ«.[5] In seinen Überlegungen widmet sich Sloterdijk der symbiotischen Verbindung von Fötus und Plazenta und dem nährenden Organ als erstem Hüter und Gefährten, wovonder Mensch durch die Geburt getrennt wird und sich infolgedessen neue schützende Konstruktionen sucht. Um diese Thematik kreist auch der Mythos des geteilten Menschen. In Platons Symposion wird berichtet, dass dieser ursprünglich ein zweigeschlechtliches Wesen war und zudem von runder Gestalt.[6] Jedoch erzürnten die Menschen die Götter, worauf hin Zeus jeden Einzelnen zur Strafe entzweite. Seither ist jeder Mensch sehnlichst bestrebt, sein Komplementärstück zu finden und sich mit diesem wieder zu vereinen. Aus der Chaperons-Serie offenbart insbesondere das Gemälde Nicola Fleuchaus, 2007 (S. 50) das Moment einer schicksalhaften Zusammenführung zweier Personen in gegenseitigem Abhängigkeitsverhältnis. 1996 wurde die damals 25-jährige Deutsche in Costa Rica entführt und erst nach mehr als zwei Monaten gegen Lösegeldzahlung wieder freigelassen. Bei der Festnahme eines der Entführer wurde ein Film aufgefunden, dessen Aufnahmen für Empörung und gar Zweifel an einer echten Geiselnahme sorgten. Die am Abend vor der Freilassung erstellten Fotos zeigen das Opfer in enger Umarmung mit einem der Entführer. Während einerseits auf den seelischen Ausnahmezustand und das Stockholm-Syndrom als Erklärung verwiesen wurde, gab es auch Stimmen, die Fleuchaus eine Liebesaffäre mit ihrem Geiselnehmer unterstellten.

Eine der Aufnahmen diente als Vorlage für das Gemälde von Quantius.[7] Dem fotografischen Bildausschnitt folgend, zeigt es Nicola Fleuchaus, wie sie ihren Kopf auf die Schulter ihres Entführers legt und sich in offenbarer Zuneigung an ihn lehnt. Dieser selbst ist in Latzhose mit auffallendem, gestreiftem Hemd und Schildmütze, direkt in die Kamera blickend wiedergegeben. Er hatte sich, wie es heißt, im Liebeswahn unmaskiert ablichten lassen.[8] Während der Geiselnehmer durch seine Kleidung, Schnurrbart und Gesichtszüge in Anklang an sein fotografisches Abbild dargestellt ist, zeigt sich das Erscheinungsbild von Fleuchaus ganz in amorph wirkende Farbflächen aufgelöst. Kopf, Haare und Oberkörper sind nur mehr aufgrund der Tonalität erahnbar, letztlich verschwimmt ihr Äußeres. Ihre Gestalt wird diffus, vage malerisch umschrieben, wie auch ihre Haltung in der Berichterstattung ambivalent präsentiert wurde. Die Darstellung, die der klassischen Gattung des Porträts zuzurechnen ist, zeigt sich in der künstlerischen Ausführung in einem zunehmenden Abstrahierungsprozess und bleibt doch zugleich der Figuration verpflichtet. Dabei scheint das Bildnis von Fleuchaus, trotz farblicher Abgrenzung, in das ihres Entführers überzugleiten, sich mit diesem zu vereinen. Zugleich verbinden sich beide Figurendarstellungen mit dem für Quantius so bezeichnenden Silbergrund. Die Eigenschaften der silbernen Farbe und ihre Reflexionskraft verleihen dem Bildraum eine kalkulierte Unbestimmbarkeit. Aufgrund des monochrom gehaltenen Hintergrunds entzieht sich die Darstellung einer konkreten örtlichen Zuordnung oder zeitlichen Bestimmung. Ein immerwährender Schnappschuss, der die mögliche Beziehung zwischen den beiden Protagonisten reflektiert: So mag es sich um ein reines Abhängigkeitsverhältnis handeln, wonach das Schicksal der Geisel in den Händen ihres Entführers liegt. Gleichwohl besteht auch die Möglichkeit, dass mit den beiden Personen – wenn auch nur für einen kurzen Zeitraum – zwei Hälften zueinander gefunden haben.

Etwa zeitgleich zu Les Chaperons schuf Quantius von 2006–08 eine weitere, mit über 30 Arbeiten

überaus umfangreiche Werkgruppe. Bei den nomad paintings rücken nun schlichte, in ihrer Ausführung oder Erscheinungsform einfachste Architekturen in den Mittelpunkt der Darstellung. Hütten, Schuppen, Scheunen aus Holz, Stein oder auch Wellblech, auf das Wesentliche reduzierte Bauten, die in ganz elementarer Funktion von Architektur Schutz und Geborgenheit bieten. Temporär angelegt, oftmals behelfsmäßig, keinesfalls für die Ewigkeit errichtet, sind sie häufig als Solitär in eine nicht näher bestimmbare, menschenleere Umgebung eingebettet.

Unzweifelhaft wird die lange Traditionslinie antiken Ursprungs des Motivs der schlichten, aus natürlichen Materialien gebildeten Hütte als Metapher des einfachen Landlebens und ursprünglichen Glücks in Erinnerung gerufen.[9] Neben dem Topos des idyllischen Ortes der Sehnsucht gab es schon in der Antike kritische Einwände gegen eine übermäßige Verklärung, da »der Hüttenbau als Tätigkeit dem Silbernen nicht dem Goldenen Zeitalter zugeordnet wird – einer Epoche also, in der der paradiesische Urzustand bereits verloren« war.[10] Eine grundsätzliche Ambivalenz, die auf ganz eigene Art und Weise in den Hüttendarstellungen von Quantius zum Ausdruck kommt. So wird mit bildnerischen Mitteln einer Idyllisierung entgegengewirkt, indem Landschaften mit nur angedeuteter Vegetation auf silbrigem Grund aus Aluminiumlack das Umfeld dieser Bauwerke bilden, die keine nähere Lokalisierung zulassen. Allein die Titel wie Scheune bei Oltingue, 2006 (S. 83) oder Hégenheim, 2006 (S. 46/47) geben Hinweise zu einer konkreteren Ortsbestimmung. Ebenso wie die unterschiedlichen Variationen der schlichten Hütte zeigen sich auch die einfachen Häuser wie Amboy, California, 2006 (S. 70) und Hof bei l’Escala, 2008 (S. 72) abseitig gelegen und verlassen. Sie vermitteln allesamt den Eindruck von in Vergessenheit geratene Bauten im Nirgendwo, für die es keine Verwendung mehr gibt. Für einen temporären Gebrauch errichtet und nun nicht länger genutzt zurückgelassen, erscheinen die Gebäude als Relikte aus einer vergangenen Zeit.

Quantius nimmt den Betrachter mit bei seinem realen und künstlerischen Nomadentum in die nähere und fernere Umgebung. Die zunächst fotografisch festgehaltenen Motive für die nomad paintings fand der Künstler etwa bei Streifzügen in der Umgebung des elsässischen Hégenheim, wo sich für einige Jahre sein Atelier befand. Doch nicht allein in der Auffindung der Bildsujets tritt das Moment des Umherschweifens von einem Ausgangspunkt bis hin zu einem Weiterziehen und nächsten, zeitweiligen Verbleiben zutage, vielmehr manifestiert sich dies auf ganz unterschiedlichen Ebenen in den Gemälden. So wohnt den Bauten, ob einfache Hütte oder steinernes Haus, gleichwohl feststehend, doch etwas zeitlich Begrenztes inne. Es sind Architekturen, die einen Übergang von einer Nutzung über Leerstand bis hin zum Verfall markieren. Dieser Wandlungsprozess wird besonders bei den Darstellungen Hütte bei Hagenthal und Hagenthal II, beide 2007 (S. 80/81), augenfällig, die unterschiedliche Verfallsstadien präsentieren. Die Idee des In-Bewegung- Seins und der Transformation wird motivisch etwa in Ausfahrt, 2006 (S. 75) deutlich, wie auch in den abstrakten Arbeiten der Serie und überdies in den malerischen Ausdrucksmitteln.Beispielhaft für das transitorische Moment der künstlerischen Darstellungsweise ist Leiterwagen, 2007 (S. 75). Zu sehen ist ein hölzernes Fuhrwerk, dahinter ein Bauwagen, eingefasst von Tannen und Gebüsch. Während die Objekte und Nadelbäume in ihrer Gegenständlichkeit konkret fassbar sind, zeigen sich weitere Bäume, Büsche und Grasbewuchs zunehmend unscharf, sich verflüchtigend. Die Farbe erhält dabei merklich eine Eigendynamik bis hin zu einzelnen Tropfen, die sich aus dem abbildhaften Bereich herauslösen und als Linien vor dem silbernen Grund verlaufen. Der Übergang, das Zwischenstadion von klar erkennbaren Objekten und abstrakten Elementen wird zudem an den rein zeichnerisch umrissenen Bäumen auf der rechten Seite ersichtlich. Als freie Formgebilde sind sie in ihrer Kontur in den silbernen Grund einbeschrieben. So ist es gerade das Silber, im Gegensatz zu den Lokalfarben der dargestellten Objekte, das dem illusionistischen Eindruck entgegenwirkt und somit das gesamte Bildwerk in der Schwebe zwischen Abstraktion und gegenständlicher Malerei hält.

Mit dem Sujet der Hütte befasst sich Quantius erneut in der seit 2007 bis heute fortgeführten Werkreihe orten. Im Unterschied zu den nomad paintings, bei denen die schlichten Bauten auf silbernen Grund gesetzt sind, treten sie hier vor geschütteten Acrylgründen in Erscheinung. Lasierend sind nun die Bildhintergründe mit netzartig sich verwebenden Farbverläufen gestaltet. Vor diesem Fond erhalten die schlichten Bauwerke abermals eine körperliche, wesenhafte Präsenz, wobei ihnen nun die abstrakten Farbverflechtungen gleichsam Möglichkeiten der Verankerung bieten. Derart reflektieren die Gemälde die dem Wort »orten« immanenten Bedeutungen. Es verweist auf den Versuch einer Lokalisierung, auf die Absicht, einen Ort ausfindig zu machen und zu bestimmen. Während dieses Vorgangs ist der aufzufindende Ort selbst noch nicht konkret greif bar, sondern lediglich als Fiktion vorhanden. Zugleich markiert der Begriff das Streben nach einer eigenen Verortung und einem Bezugssystem. Das Orten selbst verbleibt somit als eruierender Akt im Vagen. Während sich in den Bildern die Möglichkeit, Wurzeln zu schlagen, andeutet, wird ein Ankommen hingegen offen gelassen. So präsentiert sich in ihnen die Verortung als ein fortwährender Prozess der künstlerischen Auseinandersetzung und Reflexion, die zugleich an den Betrachter gerichtet ist.

Zu den Gemälden treten in der Serie orten auch in ihrer Materialität ganz anders geartete Arbeiten hinzu: Malerei auf Wolldecke. Wahlweise rote Umzugs- oder graubraune Armeedecken fungieren als Bildträger. Gerade in diesen Werken manifestiert sich der Akt des Ortens und der Versuch der eigenen Positionsbestimmung als eine Option von subjektiver Geborgenheit. In ihrer wärmenden, schützenden Funktion sind die Decken der grundlegenden Bestimmung simpler Bauten vergleichbar und können gar als rudimentäres architektonisches Objekt betrachtet werden. Eine Ausdehnung ins Dreidimensionale wird ihnen mittels der einfassenden Plexiglashauben zuteil. Zugleich wirken jedoch die aufgemalten Farbflecken der auf diese Weise geschaffenen Plastizität und Räumlichkeit entgegen. Die Fetzen, die als Motiv Quantius’ serielles Arbeiten anstießen, bei den nomad paintings und vermehrt in der orten-Werkgruppe als irritierendes Moment in den Gemälden vor gegenständlichen Bildelementen auftauchen, werden hier wieder zu völlig autonomen Farbgebilden.

Quantius thematisiert erneut, nun mit erweiterten Mitteln, das Spektrum der Malerei zwischen Abstraktion und Gegenständlichkeit. In seinen Werken kreiert er Räume und virtuelle Orte, die allein innerhalb der Bildwerke existieren und die zugleich eine Art von Zwischenstation markieren auf der fortwährenden Suche und künstlerischen Selbstbefragung, wie sich dies letztlich auch in der Idee der Bild-Serien manifestiert.

[1]   Der kleine Pauly. Lexikon der Antike, bearb. Und hrsg. von Konrat Ziegler und Walther Sontheimer, Bd. 1, München 1979, Sp. 1379–1380, mit Hinweis auf unterschiedliche Fassungen der Sage und Quellenverweisen.

[2]   Boris Groys, »Fragen ohne Antwort«, in: AC: Peter Fischli David Weiss. Fragen Projektionen, Ausst.- Kat. Museum Ludwig, Köln, hrsg. von Marjorie Jongbloed und Kaspar König, Köln 2002, S. 11 – 16, hier S. 14 – 15.

[3]   Einzig Hypermestra verschont ihren Gatten und verhilft ihm zur Flucht, hierzu: Ovid, Heroides, XIV; vgl. Der kleine Pauly 1979, Sp. 1379

[4]   Neben Artikeln in der Tages- und Wochenpresse vom Sommer 2007, vgl. auch »Chaperon System«, Amtliche Bekanntmachung des Bund Deutscher Radfahrer, Frankfurt / M, 17. Juli 2007, abruf bar auf: www.rad-net.de /modules php name=Bekanntmachungen& pgID Bekanntmachungen= 11&recid= 1193 (rad-net. Das Radsport-Portal, offizielle Internetseite und Medienpartner des BDR)

[5]   Peter Sloterdijk, »Der Urbegleiter. Requiem für ein verworfenes Organ«, in: ders., Sphären. Mikrosphärologie – Band I: Blasen, Frankfurt a. M. 1998, S. 347 – 401.

[6]   Platon, Symposion, übers. und hrsg. von Thomas Paulsen und Rudolf Rehn, Stuttgart 2006, 189d –191b, S. 55 – 61

[7]    Zu dem Entführungsfall mit der Abbildung dieses Fotos, siehe: »Julio, der Verrückte«, in: Der Spiegel, 1996, 34, S. 122 – 123.

[8]   Vgl. Der Spiegel 1996, S. 122.

[9]   Siehe hierzu Rainer Schoch, »Palast und Hütte. Zum Bedeutungswandel eines künstlerischen Motivs zwischen Auf klärung und Romantik«, in: kritische berichte. Zeitschrift für Kunst- und Kulturwissenschaften, 17, 1989, 4, S. 42 – 59; Joseph Rykwert, Adams Haus im Paradies. Die Urhütte von der Antike bis Le Corbusier, Berlin 2005.

[10]   Schoch 1989, S. 44.