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Ausführungen über Hütten und Flecken

Roland Nachtigäller

 

Die existenzielle Ortung sucht im Irgendwo nach dem Anderen und lokalisiert es zugleich im Nirgendwo – 2007 begann Olaf Quantius mit den Bildern seiner bisher noch nicht abgeschlossenen Serie „orten“, die bis auf zwei Ausnahmen ohne Titel geblieben sind und damit bereits auf dieser Ebene die Unbestimmtheit einer im Namen der Serie thematisierten Standortsuche vermitteln. Quantius‘ Ortung erweist sich dabei als komplexe Lokalisierung einer künstlerischen Haltung, bei der der gesamte Schaffensprozess, Motivik, Technik, Kontexte und die Bestimmung der Standpunkte von Künstler und Betrachter einer Befragung unterzogen werden, die gleichermaßen Selbstversicherung wie grundsätzliches In-Zweifel-Ziehen ist.

Zentral erscheint in dieser Gruppe der „orten“-Arbeiten ein Motiv, das auch in den Serien „Les chaperons“ (2007–2009), vor allen aber bei den „Nomad Paintings“ (2006–2008) thematisiert wurde: die vereinzelte Hütte als gleichermaßen ursprünglicher wie ephemerer Schutzraum. In diesem Sinne versinnbildlicht der einfache, zumeist hölzerne Verschlag die ganze Spannung des Unterwegsseins: Die Hütte ist funktionale anonyme Architektur, die im Moment ihres Entstehens schon auf den direkt im Anschluss einsetzenden Verfall hin konzipiert ist und deren Materialität bereits das Überantworten der kulturellen Setzung an die aneignenden Kräfte der Natur eingeschrieben ist. Insofern kann die Errichtung einer Hütte bereits als Standortbestimmung in einem fließenden Selbstverständnis begriffen werden, die Fixierung eines notwendigen Augenblicks in einer nomadischen Existenz, die allein auf architektonischer Ebene schon die Polarität zwischen den Sehnsüchten nach Beheimatung und Geborgenheit einerseits und der latenten Unruhe zu Aufbruch und Neuorientierung auf der anderen Seite symbolisiert.

Diese Bestimmung der Unbestimmtheit übersetzt Olaf Quantius in seiner künstlerischen Arbeit auf mehreren Ebenen in eine Bildsprache, die gerade wegen ihrer Komplexität und reflektierten Kontextualisierung ein hohes Maß an Überzeugungskraft gewinnt. Bereits 1999 thematisiert er in einem kleinen Öl- und Lackbild auf Leinwand einen „Schuppen“, der schon hier ähnlich motivisch vereinzelt aufgefasst und mit wenigen Naturelementen auf einem ansonsten silbernen Grund auf der  Leinwand verortet wird. Diese Fragmentierung des Landschaftsbildes wird der Künstler bis in die aktuelle Bildproduktion immer wieder aufgreifen und beharrlich weiter verfolgen. Immer zerbrechlicher erscheint dabei der Glaube an ein Kontinuum des objektivierbaren Blicks oder – aus umgekehrter Perspektive betrachtet – immer komplexer gerät ihm dabei die Befragung der Abbildhaftigkeit als Spannungsfeld zwischen Gegenständlichkeit und Abstraktion. Quantius erweist sich als ungemein wacher Zeitgenosse, der die Brüchigkeit der künstlerischen Selbstauffassung ebenso einfängt wie den grundsätzlichen Zweifel an der Authentizität des Motivischen.

Diese Fragilität des bildnerischen Ganzen wird in der „orten“-Serie noch verstärkt durch die offene Struktur der geschütteten Hintergründe. Auf verwirrende Weise kontrastieren hier Mikro- und Makrostrukturen und lassen den Blick immer wieder aus dem Fokus rutschen. Suggeriert das Natur- und Hüttenmotiv Abstand und Ferne, so schlägt diese Standortbestimmung des Betrachters sofort um, wenn das Auge über die vor allem in den Randbereichen in alle Richtungen auslaufenden „Nasen“ und „Tränen“ des Hintergrundes wandert. Die geschüttete und durch Drehung und Neigung der Bildoberfläche zu den Rändern hinlaufende Farbe in zarten Pastelltönen ergibt eine dichte Netzstruktur, in der das Motiv nur für den Moment gebannt und wie zwischen den Bildrändern verspannt erscheint. Alles arbeitet hier gegen den Eindruck einer Konsistenz des Wiedergegebenen, immerzu schlägt Figürliches in Abstraktes, Strukturelles in Motivisches um und umgekehrt. Auch Aspekte wie Zufall und Kalkül, Intuition und Komposition, spielen dabei sichtbar eine Rolle, indem ihre Relationen und Gewichtungen jeweils neu definiert werden.

Sicherlich aber am verwirrendsten für die Aufschlüsselung der bildlogischen Korrelationen sind die eigenwilligen, bizarr geformten „Flecken“ auf den Werken dieser Serie, die sich Teile des Bildes zu erobern scheinen, so als würden sie sich langsam kriechend über der Leinwand ausbreiten und Stück für Stück das sowieso schon fragile Motivische des Bildes „fressen“. Auch die Schichtung, die logische Anordnung der Ebenen, die durchaus erst einmal zu figürlicher Lesart verführen, ist gar nicht so eindeutig zu bestimmten: Schieben sich diese „blinden“ Flecken eher über das Motiv oder brennen sie sich eher von unten durch die Leinwand, breiten sie sich also als opakes Etwas auf der Bildoberfläche aus oder ätzen sie deren Homogenität vielmehr auf und geben Durchblicke auf ein unbestimmtes Darunter frei?

Solche merkwürdigen Flecken oder – was ihre Form treffender beschreibt und wie Olaf Quantius sie selbst auch betitelt – solche „Fetzen“ tauchen in Quantius‘ Malerei bereits seit 1998 als eigenständige Motive auf, die als abstrakte Wesenheiten auf Baumwolle ihr Eigenleben entfalten. Anfänglich laufen diese Formen an den Rändern oft in Verwerfungen und Wellen des ansonsten unbearbeiteten Bildgrundes aus, auch sieht man bisweilen Reste von Klebstreifen und Papier, die die Entstehung dieser Motive offen legen. In späteren Jahren treten zu den scharfkantig wuchernden Silhouetten auch symmetrische Formen, die an die Spiegelbildlichkeit der Rohrschach-Motive erinnern.

Olaf Quantius reißt diese Formen zuerst aus Papier, das manchmal auch entlang einer Mittelachse einmal gefalzt wird. Dann werden diese Fetzen auf die Leinwand aufgebracht und mit Kreppband so abgeklebt, dass die Negativform im Anschluss malerisch bearbeitet werden kann. Ihr Auftauchen im Bild scheint erst einmal keiner bildlogischen Ordnung zu folgen, fast anarchisch legen sie sich mit zackigen Kanten und ausgreifenden Spitzen über und in die Motive und produzieren ein stetes Vor- und Zurücktreten der einzelnen Bildelemente, das die Fokussierung des Blicks nachhaltig stört.

In ihrem Inneren sind diese Flecken ein wolkiges, schwer greifbares Etwas, farblich derart in die Malerei außerhalb eingepasst, dass es den Anschein erweckt, als verflössen die in der näheren Umgebung verwandten Farben in den Fetzen zu einer Art Ursuppe, einem kosmischen Nebel, in dem das Motivische implodiert und zugleich neu generiert wird. So verweisen diese Fetzen einerseits auf ein Außerhalb des figurativen Kontextes und zugleich auf ein Innerhalb der malerischen Bildkonzeption. Die Ortsbestimmung, die Ortung erfolgt also in diesen Bildern vor allem auch im Hinblick auf eine künstlerische Haltung, bezieht sich auf die Frage nach einer authentischen Sprache und einer Bilderzählung, die über das Wiedererkennen des Motivs hinaus eine wesentlich komplexere Realität behauptet. In den selteneren Fällen der achsensymmetrischen Fetzen im Bild laden diese sich im Innern mit einer farblichen Polarität auf, die nicht mehr wolkig ineinander verfließt, sondern mit hartem Schnitt in der Mitte senkrecht aufeinander trifft. Auch sie verweisen auf ein abstraktes Außerhalb der Bildlogik, allerdings mit der trügerischen Ordnung eines kontrollierten Farbverlaufs. Bezeichnenderweise finden sich diese Fetzen in der „orten“-Serie ihrerseits vorwiegend auf monochromen oder eher abstrakten Untergründen (eine erste Ausnahme bildet nur „orten 25“).

Radikalisiert wird diese Infiltrierung des Realitätsbezugs noch durch die Malerei der Fetzen auf rosaroten oder dunkelgrünen Wolldecken, wie sie Quantius 2008 begonnen hat. Hier bedarf es keiner malerischen Konstruktion eines menschlichen Schutzes mehr, die Decken selbst stehen als Realien des sich Wärmens und Einhüllens für einen bergenden Akt gegen ein potentiell feindliches Außen. Wenn Olaf Quantius seine Fetzen, die in den frühen Jahren schon auf ungrundierten, oftmals gefundenen Baumwollresten ihren Anfang nahmen, nun auf den Filz einer wollenen Decke überträgt, gelingt ihm damit eine faszinierende Überblendung bisher getrennter Realitäten. Im Format ganz auf das menschliche Maß ausgerichtet, kunsthistorisch nahezu unverbrüchlich mit Joseph Beuys verbunden und anthropologisch als Wärmespender und einfachstes architektonisches Material bestimmt, erscheinen die Wolldecken in seinen Arbeiten als Brücke zwischen minimalistischer Geste und emotionaler Aufladung. In diesem Dualismus haben auch die darauf gemalten Flecken doppelte Funktion. Verflüchtigt sich in ihrer Anwesenheit einerseits die Konkretion eines schützenden Ortes, markieren sie andererseits im selben Moment den Einbruch einer Realität des Anderen: In beiden Lesarten sind sie das Außen, das die Realie ebenso dekonstruiert wie transzendiert. So bleibt auch hier das fluktuierende Prinzip erhalten, wechselt der Blick zwischen Nah- und Fernsicht, während die Fokussierung sowohl im konkreten wie auch im übertragenen Sinne nur für jeweils einen Moment gelingt. Was bleibt ist eine produktive Entleerung, eine klärende Aufladung.

Die Bestimmung im Unbestimmten, die Zuspitzung in der Vielfalt – möglicherweise ist dies eine Haltung, die dem zeitgenössischen Künstler und konkreter noch dem Maler heute als einzige Strategie bleibt angesichts eines nahezu unüberschaubaren Pluralismus der Formen, Stile und Haltungen. Der Qualität und Präzision im Arbeiten von Olaf Quantius ist es geschuldet, das die Kraft des Neuen bei ihm gerade aus dem bewussten Umgang mit dieser Vielfalt der Möglichkeiten erwächst, nicht in einem gleichmacherischen Nebeneinander, sondern im klugen und reflektierten Verwenden und Zitieren von ganz unterschiedlichen Bildtraditionen und malerischen Handschriften. Wenn schon beim oberflächlichen Betrachten seiner jüngeren Bilder Referenzen zu Schüttbildern und Fotorealismus, zu Fluxus und Modellbau, zu Vorbildern und Wegbegleitern wie Gerhard Richter, Luc Tuymans oder Dirk Skreber deutlich werden, so bewegt sich hier ein Künstler souverän auf vermeintlich bekanntem Gelände, um letztlich etwas originär Eigenes zu entwickeln.

Allein die Malerei der Landschaften mit Hütte fasziniert das Auge durch ein doppeltes Spiel mit Imagination und Brüchigkeit. In jedem Augenblick erscheint der Illusionismus der Gegenständlichkeit auf das Höchste bedroht, in der motivischen Vereinzelung, in den immer wieder aufbrechenden Durchblicken auf ein Darunter oder Dahinter, in dem abrupten Wechsel von Faktur und malerischem Gestus, im allgegenwärtigen Umschlagen zwischen überscharfen Kontrasten und wattigem Verfließen der Farben. So entsteht in den Bildern von Olaf Quantius eine völlig eigene Welt, in der das Andere als Sehnsuchtsort ebenso wie als Bedrohung aufgehoben ist. In der vielfältigen Schichtung der Bild- und Bedeutungsebenen entsteht eine komplexe Annäherung an eine Zeitgenossenschaft, die keine scharfen Trennlinien mehr kennt zwischen Innen und Außen, zwischen dem Faktischen und dem Spekulativen – und letztlich zwischen dem Ich und dem Anderen. Vielleicht liegt darin der Aufbruch und die Vision in die gesellschaftliche Zukunft auch außerhalb des Bildes: Mit sinnlicher Schärfe die luzide Bestimmung der Uneindeutigkeiten anzugehen, in der Paradoxie die Auflösung der Wiedersprüche zu suchen und die latente Ungewissheit als kraftspendende Gewissheit zu nehmen.